Wandern
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Sv. Jure – Eis, Wind und Bären, Cowboys und Indianer

Jetzt im warmen Juni sitzen wir auf der Terrasse unseres Hauses beim Frühstück und blicken hinab auf den Kanal zwischen dem Festland der Makarska Riviera und der Insel Brač. Auf der Wasseroberfläche ist keine Welle, kein Kräuseln zu sehen. Dies mag ein guter Tag sein, um erneut eine Besteigung des Sv. Jure in Angriff zu nehmen. Mit seinen knapp 1.800 Meter Höhe ist der Sv. Jure der dritthöchste Berg Kroatiens und liegt im Biokovo-Naturpark oberalb von Makarska. Sv. Jure – das ist der Heilige Georg. Bereits vor ein paar Monaten hatten wir eine Wanderung auf seinem Rücken geplant. Doch die Tücken des Berges und der Bora haben uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Um es vorweg zu nehmen: Wir hatten nicht einmal den geplanten Ausgangspunkt unserer Wanderung mit dem Auto erreichen können, so windig und eisig war es.

Strand unterhalb vom Sv. Jure und Biokovor Gebirge

Bora und Adriatische Meer

Die Bora peitschte eine Sturmböe nach der anderen über die Kanäle und das aufgewühlte Adriatische Meer. Der Wind heulte in den Takelagen der Segelboote in den Marinas unten an der Küste und zerrte an allem, was nicht ausreichend festgemacht war. In den Gassen flogen die Tafeln und Plastikstühle der Restaurants umher, als ob die Wirte zum ersten Mal die Erfahrung einer Bora machten. In dieser Szenerie machten wir uns mit unserem Mietwagen, einem Fiat im Miniaturformat, auf den Weg.

Wanderung ...

Unser Wanderführer beschrieb Wanderung über den Sv. Jure als nur mäßig anstrengend, da der Parkplatz schon recht weit oben auf dem Berg lag. Nicht erwähnt hat der Führer jedoch, dass bereits die Straße dorthin, zumal im Winter, nicht für kleine Mietwagen geeignet war. Harter Schnee, vereiste Fahrbahnabschnitte und starker Seitenwind erschwerten das Vorankommen. Ausgehungerte Bären, die aus dem Wald auftauchten, hätten uns nicht mehr überraschen können. Wir hatten Bedenken, es über diesen ehemaligen Esels- oder Karrenweg bis nach oben zu schaffen. Auf einem tiefer gelegenen Picknickparkplatz, „nur“ vier Kilometer von unserem Ausgangspunkt entfernt, stellten wir das Auto ab.

Wandern vom Makarska bis zum Sv. Jure

Ein Wegweiser fesselte unsere Aufmerksamkeit: 20 Minuten bis zum Abflugpunkt für Paragleiter. Die Landschaft bestand aus verschneiten Wäldern und vereisten Felspartien. Hier und da hoben sich Ruinen aus Natursteinmauerwerk nur schwach von der Umgebung ab – Höfe und kleine Weiler, die aufgegeben waren. Und es gab Hütten. Diese waren jedoch alle verschlossen und ebenso verwaist. Im Winter ist die Einsamkeit hier garantiert.

Der Wind nahm weiter zu und an ein Vorankommen war nicht zu denken. Die Bora blies jetzt so heftig, dass wir uns beinahe auf den Boden legen mussten. Und das bei strahlend blauem Himmel. Wir hatten keine Wahl, wir mussten umkehren. Zurück zum Auto und den Fahrweg hinunter zur Küste. Am Ende sind uns keine wilden Bären begegnet, aber der Berg hat unseren Respekt verdient. Er hatte gewonnen. Er sollte alleine bleiben.

Wandern vom Makarska bis zum Sv. Jure

Auf der Fahrt hinunter entdeckten wir den Wegweiser zu einem „Geologischen Pfad“. Da wir auf dem Gipfel schon nicht wandern konnten, wollten wir es wenigstens hier versuchen. Leider hatten wir keine Wanderkarte dabei, lediglich eine Beschreibung der Gipfeltour. So kam uns der Geologische Pfad gerade recht.

Szenerie der Winnetou-Filme

Die Gegend war deutlich wärmer und windgeschützter als die Gipfelregion. Wir fühlten uns in die Szenerie der Winnetou-Filme hineinversetzt. Die ersten (Stumm-)Filme entstanden bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die meisten Drehorte lagen im ehemaligen Jugoslawien, einige im Hinterland der Makarska Riviera zwischen Trogir, Split und Dubrovnik. In dieser beeindruckenden Karstlandschaft gab es kleine Canyons, zerklüftete Felsen und Wälder aus Steineichen. Wir entdeckten Spuren von Pferden und wurden zu Fährtenlesern: aufgescharrte Erde, Hufspuren und ihre Hinterlassenschaften. Lebten hier wilde Pferde? Wir meinten, davon gelesen zu haben. Wir entdeckten ein paar Einfriedungen aus Trockensteinmauern, hinter denen wir uns ins trockene Gras fallen ließen. Es war windgeschützt und wir genossen von dieser Stelle einen herrlichen Blick über die Filmlandschaft – fehlten nur noch die Pferdeherden, Cowboys mit Lassos und Indianer. Der Platz hatte nichts mehr von der eisigen Kälte, die in der Gipfelregion der Heiligen Georg regierte. Der Nachmittag war mittlerweile fortgeschritten. Wir mussten uns auf den Rückweg machen.

Zurück an der Küste

Nach jeder anstrengenden Wanderung, und erst recht, wenn der Heilige Georg, die Bora, ausgehungerte Bären sowie Cowboys und Indianer im Spiel sind, gehört eine gemütliche Einkehr zum Tagesabschluss zu unserem Pflichtprogramm. Zurück an der Küste, entschieden wir uns für einen Abstecher nach Makarska, dem Ort, der diesem Küstenabschnitt seinen Namen gab. Der Wind hatte am Abend deutlich abgenommen. Die Fischerboote schaukelten jetzt friedlich auf ihren Liegeplätzen. Einige Fischer überprüften ihre Boote nach Sturmschäden. Sie wirkten zufrieden, als sie alles unversehrt an seinem Platz fanden. In der Dämmerung schlenderten wir entlang der Mole und folgten einer kleinen Gruppe im Winter verirrter Touristen über Stufen zum Kačić-Platz im historischen Stadtkern. Ein Denkmal erinnert an den Dichter Andrija Kačić Miošić. Der Franziskanermönch wirkte im 18. Jahrhundert und schrieb eine populäre Abhandlung über die Einheit der slawischen Völker.

Wandern vom Makarska bis zum Sv. Jure

Und natürlich frischer Fisch...

In kaum einer kroatischen Stadt hat man Probleme, eine nette Konoba zu finden. Ganz im Gegenteil: Die Auswahl fiel uns schwer in Makarska. Wir entschieden uns für ein Lokal mit schlicht gestalteten Wänden, zurückhaltender maritimer Dekoration und einer langen hölzernen Tafel, die eingedeckt war, als ob man an diesem Wintertag noch eine größere Gruppe hungriger Gäste erwartete. Guter süffiger Wein und die herzhaften Ofenschmorgerichte der Region sind so gut wie überall obligatorischer Bestandteil der Speisekarten. Und natürlich frischer Fisch. Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass es sich auch wirklich um den Tagesfang handelte (der Wirt schien bei dieser Frage ein wenig beleidigt zu sein), entschieden wir uns für letzteren. Wir stießen noch einmal an auf den Sv. Jure und waren eigentlich ganz zufrieden, dort oben auf unsere Grenzen gestoßen zu sein. Der Abend entschädigte für die nicht geschaffte Wanderung allemal. So war das vor ein paar Monaten. Heute wollen wir uns auf den Weg machen, um dem Berg bei sonnigem Sommerwetter zu begegnen. Ihm, und vermutlich dem ein oder anderen Touristen. Die Einsamkeit des Winters können wir wohl heute nicht erwarten.