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Geschichte und Geschichten aus Vis

Der Himmel auf der Überfahrt von Split nach Vis hat eine Färbung zwischen Mintgrün und Hellblau, die so typisch für einen winterlichen Himmel in Dalmatien ist. Hier und da ziehen schmale, langgezogene Schleierwolken. Von den großen kroatischen Inseln liegt Vis mit 44 Kilometern am weitesten vom Festland entfernt. Das war und ist in gewisser Weise das Schicksal der Insel. In früheren Jahrhunderten war die Insel für ihre Besitzer und Eroberer von strategisch und ökonomisch wichtiger Bedeutung – letzteres wegen des Anbaus von Wein. Noch bis 1989 wurde die Insel Vis militärisch genutzt und war daher sowohl für Investoren als auch für Urlaubssuchende tabu.

Die Geschwister Luka und Kuta

Auf Vis geht es immer noch beschaulich zu, denn die Entfernung vom Festland lässt nur ambitioniertere Reisende die Fähre zu diesem Eiland nehmen. Als wir am einem späten Winternachmittag in der Bucht des Hauptortes gleichen Namens einlaufen, geht die Sonne schon hinter einem der umliegenden Hügel unter.

Vis, das ist nicht nur der Inselname, sondern auch der des Hauptortes, eine verwirrende aber für die dalmatinischen Inseln nicht unübliche Doppelverwendung. Der Verwirrung nicht genug, besteht die Stadt Vis ihrerseits selbst aus zwei Ortschaften, die ehemals ganz eigenständig waren, nun kommunalpolitisch aber zusammengelegt wurden. Im Westen der großen Bucht, in der die Doppelstadt liegt, haben wir Luka und im Osten die etwas kleinere Schwester Kuta. In Luka legen die Fähren an, der Ort ist damit um einiges betriebsamer als Kuta.

Urlaubsort VIS auf gleichnahmigem Insel Vis Urlaubsort VIS auf gleichnahmigen Insel Vis

Wo sollen wir uns für unseren zweitägigen Aufenthalt einquartieren? Wir entscheiden uns für das stillere Kuta. Auf uns wirkt die kleine Schwester einheimischer und ruhiger, und ist damit ganz nach unserem Geschmack. Wie es sich später herausstellen wird, war es zumindest zu dieser Jahreszeit nicht unbedingt die richtige Wahl.

Das beschauliche Kuta und der Blick, der sich von hier aus auf die andere Seite bietet, ist wunderschön. Wir befragen unsere Reiseführer (zu diesem Zwecke wohlweislich nicht den von 1969) nach den Möglichkeiten, den gelungenen Tag mit einem kulinarischen Abschluss zu würdigen. Es soll eine Konoba in Luka in einem alten Hotel von 1911 geben. Die Beschreibung macht uns neugierig. Mittlerweile ist es dunkel geworden, die Gassen sind verlassen. Die venezianische Vergangenheit der Insel ist in solchen Dämmerstunden besonders spürbar. Hinter dicken, geschlossenen Holztüren hören wir Handwerker arbeiten. Es scheint, jetzt im Winter unterzieht man die Geschäfte und Restaurants allen notwendigen Renovierungsarbeiten – leider ist auch unser Restauranttipp geschlossen.

Ortschaften direkt am Meer - Kroatische Geschichte in Bildern Ortschaften direkt am Meer - Kroatische Geschichte in Bildern

Mittlerweile ist es bereits tief dunkle Nacht geworden und unsere Hoffnung auf ein geöffnetes Restaurant schwindet zunehmend. Zurück in Kuta haben wir jedoch erstaunlicherweise Glück und finden sogar eine Konoba, von der es heißt, der dort servierte Brodet sei köstlich. Brodet ist ein spezieller Fischeintopf oder Fischgulasch, der aus vielen fangfrischen Fischen zubereitet und originär auf einem Polenta-Bett serviert wird. Erneut kommt uns Venedig mit seiner Vorliebe für Polenta und Fisch in den Sinn… Doch auch in dieser hoffnungsvollen Konoba bekommen wir zunächst einen Dämpfer, was tatsächlich einer der wenigen Nachteile antizyklischen Inselreisens sein kann: Die Speisekarte ist hinfällig. Oder anders ausgedrückt: Auf den Tisch kommt nur das, was gerade im Hause ist. Und das ist gut so, denn uns wird als Hauptgang ein fangfrischer Knurrhahn serviert. Der Koch hat nichts verkommen lassen und aus den Fischresten eine leichte köstliche Fischsuppe als Beigabe gekocht. Vorweg laben wir uns an Oktopusfrikadellen auf Mangold und Kartoffeln. Eine Karaffe des schweren aber köstlichen Rotweins aus der Region rundet als genau das passende Getränk für diesen kalten Winterabend das Menü ab. Was will man mehr!

Restaurant am Meer in Dalmatien Restaurant am Meer in Dalmatien

Wanderung in die Vergangenheit

Am nächsten morgen wollen wir wandern. Auf dem Plan steht eine Tour zu Titos Höhle, die sich auf der höchsten Erhebung, dem Berg Hum befindet. In einer Auslage des Touristenbüros sehen wir eine Wanderkarte. Doch leider ist das Büro geschlossen und es bleibt auch so, obwohl wir lange warten. Man sollte in Kroatien nicht verzagen, sondern die Nachbarn fragen. Auf diesem Wege erfahren wir, dass das Touristenbüro im Winter selten aufmacht und dass es diese Karte auch im Blumenladen um die Ecke gibt. Die Karte in der Hand entscheiden wir, dass die fünf Stunden für die einfache Strecke nicht mehr zu schaffen sind und müssen Tito in seiner Höhle warten lassen. Für geschichtsinteressierte unter den Visbesuchern nur soviel: Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs diente die Insel als Hauptquartier der jugoslawischen Befreiungsarmee unter der Führung von Marschall Tito. Er versteckte sich in den Höhlen um Hum vor der Deutschen Wehrmacht und den SS-Truppen.

Strand Stinava auf Insel Vis Strand Stinava auf Insel Vis

Wir aber unternehmen eine Küstenwanderung und suchten nach den archäologischen Überresten der antiken Stadt. Diese vermeintlich kurze Wanderung kostet uns fast vier Stunden, denn in dem Gewirr aus Natursteinmauern ist es nicht einfach, den richtigen Weg zu finden. Irgendwann sind wir froh, dem Labyrinth zu entkommen, und stehen überraschend vor einer mittelalterlichen Kirche. Im Inneren jedoch Barock, wohin das Auge blickt. Meine Aufmerksamkeit fesselt ein altes gerahmtes Foto mit der Inschrift (frei übersetzt): „Erinnerungen aus Amerika 1933, Nick und…“ Darunter steht eine Geldsammeldose. Wird hier Geld für Amerika gesammelt? Für die USA oder Südamerika? Weiter auf unserem Küstenweg treffen wir auf die jüngere militärische Vergangenheit der Insel. Das Areal war Sperrgebiet. Versteckt in einer tief eingeschnittenen Bucht öffnet sich ein Schiffsbunker im Fels. Auf unseren Reisen sahen wir die meisten Bunker auf kleinstem Raum in Albanien. Doch diese Art von Schiffsbunkern kennen wir nur aus Kroatien.

Kapitäne ohne Schiffe in Komiža

Komiža ist der zweite größere Ort im Westen der Insel, der mit spektakulären Sonnenuntergängen über der Adria aufwartet! Es geht hier genauso beschaulich zu wie bei den Geschwistern Luka und Kuta. Der Hafen liegt geschützt in einer geschlossenen Bucht und der kleine Ortskern lädt zum Schlendern und zum Verweilen in einer der vielen Konobas ein. In einer Gasse hängen hoch über unseren Köpfen Fische, die wie Wäsche an Leinen zwischen den Häusern zum Trocknen aufgehangen wurden.

Urlaubsort Komiza auf Insel Vis Urlaubsort Komiza auf Insel Vis

In einem Café, das nach dem berühmten Comic Corto Maltese des italienischen Comiczeichners Hugo Pratt benannt ist, gönnen wir uns einen Kaffee im Freien. Corto Maltese ist – wie passend hier in Dalmatien – ein gebürtiger Insulaner, natürlich aus Malta. Und er ist ein Kapitän ohne Schiff, der Anfang des letzten Jahrhunderts einige dramatische Abenteuer zu bestehen hatte. Da auch wir hier nicht mit dem eigenen Schiff sind, fühlen wir uns mit ihm, dem wir schon in Venedig (dort gibt es ein eigenes Museum) und im Mittelmeer begegnet sind, verbunden. Gegen Mittag wärmt auf Vis auch im Winter die Sonne angenehm und wir genießen die Ruhe zu dieser Jahreszeit. Zu schade, dass wir am nächsten Tag wieder abreisen müssen.

P. S.

Von überall sichtbar und sicherlich auch das am meisten fotografierte Objekt der Stadt: Sveti Nikola. Die Kirche von Komiža prägt nicht nur das Ortsbild, sondern die Geschichte(n) der Stadt. Dem Heiligen Nikolaus, dem Schutzheiligen aller Seefahrer gewidmet, ist sie auch der Ort einer spannenden Rituals, dem man am 6. Dezember beiwohnen kann. Vor der Kirche wird dann ein altes, ausrangiertes Boot verbrannt. Diese Opferung bindet der nun kahnlose Kapitän an die Hoffnung, der beschenkte Heilige spendet ihm ein neues, am besten natürlich ein besseres Boot.